Ein Zeitzeugeninterview mit Ruth Herbaczowsky
Ruth Herbaczowsky, geboren 1928, ehemalige Lehrerin und Lehrkraft an der Martin-Luther-Universität Halle:
Du warst 1944 einige Zeit im Peissnitzhaus. Wie ist es dazu gekommen?
1943 bin ich in Halle aus der Schule gekommen und musste dann ins Pflichtjahr. Ich hatte Glück und konnte als Pflichtjahrmädchen zu einer gutbürgerlichen Familie an die Ostsee. 1944 kam ich nach Halle zurück und habe dann ab 1.April die Handelsschule in der Martinstrasse besucht. Dort haben wir Schreibmaschine, Stenografie und Bilanzieren etc. gelernt. Am 1. Oktober 1944 wurden alle Schulen geschlossen und wir wurden kriegsverpflichtet. Ich bin zur Heeresnachrichtenschule in Heide-Süd gekommen und wurde als Fernschreiberin ausgebildet. Das dauerte ca. ca. 5 – 6 Wochen. Die Ausbildung fand in Heide-Süd statt. Zum Schlafen waren wir im Peißnitzhaus untergebracht. Wir waren dort vielleicht so 100 bis 120 Mädchen im Alter von 16 bis 20 Jahren und haben im großen Saal in dreistöckigen Betten geschlafen. Das ist mir noch gut in Erinnerung. Leider weiß ich nicht mehr, ob wir dort auch Essen bekommen haben. In die anderen Räume bin ich gar nicht groß gekommen, denn wir wurden ja jeden Tag von morgens früh bis abends beschäftigt. Nach der Ausbildung wurde ich zur Reichsbahn geschickt und habe in Halle bei der Direktion der Reichsbahn in einer Schreibstube als Fernschreiberin gearbeitet. Dort habe ich etwas ganz Schreckliches erlebt: Man hat ja manchmal gewusst, wer am anderen Ende der Leitung war und dann auch etwas privat hin- und hergeschrieben. Einmal musste ich aufhören, weil Fliegeralarm war. Als ich wieder anrief, war das Mädchen am anderen Ende der Leitung nicht mehr da. Sie war tot.
Warst Du dann später noch im Peißnitzhaus oder hast Du mit dem Pionierhaus etwas zu tun gehabt?
Ich war ja später lange Jahre Lehrerin und habe mit meinen Schülern immer viel*unternommen. Bei mir wurde immer gewandert und ein Museum besucht und der Spaß kam auch nicht zu kurz. Mit den Schülern meiner 5. Klassen war ich z.B. immer in Halle im Museum für Vorgeschichte. Danach sind wir zur Peißnitz gelaufen und waren auf dem baschkirischen Spielplatz. Dort konnten die Kinder sichaustoben. Im Pionierhaus waren wir vielleicht zum Essen, das weiß ich aber nicht mehr so genau.
Ruth Herbaczowsky ist heute Rentnerin und verfolgt die Entwicklung des Peißnitzhauses genauso aufmerksam wie die Weltpolitik. Sie hat einen Weltkrieg erlebt und versteht nicht, dass manche Menschen daraus offenbar nichts lernen. Sie trifft sich heute noch mit ehemaligen Schülern und Studenten, die sich gerne an die Zeit mit ihr erinnern. Aufgeschrieben von Bertolt Marquardt. Die Fragen stellte Charlotte Marquardt.
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